Miloš Crnjanski (1893 – 1977)


Bio-Bibliographie

EPILOG <=> EPILOG
Frohe Botschaften <=> Blagovesti
Halluzinationen <=> Priviđenja
LAMENTO FÜR BELGRAD <=> LAMENT NAD BEOGRADOM
Prozession <=> Povorka
SUMATRA <=> SUMATRA


EPILOG

Ob ich für die Herren Professoren dichte,
Jene kritisch Betuchten,
Die unterm Pantoffel, rheumatisch,
Sich in Optimismus versuchen?

Oder für unsere Tischdamen gar,
Die sich an Weihnachtsmärchen ergötzen;
Aber den Storch fürchten, der über uns war,
Und sich beim Ruf des Bettlers entsetzen.

Oder für die große patriotische Schar.
Den sie meinen, den Landmann,
Der riecht nicht nach Mist,
Sondern traurigem Mondschein.

Werde ich dort sein, wo man
Die Suizidler beschimpft – und sagen kann,
Dies sei der parisische Einfluss?

Aber damit ist Schluss!
Auf Ithaka wolln wir
Andere Saiten anschlagen!
Ganz gleich, ob ich es bin
Oder ein andrer.

1919

(Übertragung und Nachdichtung: Cornelia Marks und André Schinkel)


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Frohe Botschaften

Die Liebe – das war einmal und ist nicht mehr.
Mein Schicksal – am Himmel dieser Tage verirrt,
        mild, friedlich, rein, vom Regen beflirrt,
        wie die Hand einst, die den Leib der Geliebten begehrt.

Der Lilie Weiß – es duftet nicht mehr,
        im Frühling, über der Erde, streng, weiblich, wild.
An meine Rippen zu pressen: das blühende Obst, als
        die Zeichen froher Botschaften, bin ich gewillt.

Diese Nacht, voll
Traurigkeit und kranker Marotten, verblasst.
Allein ich bleibe, am Licht-Horizont,
im Blau der Gewässer, im herbstroten Wald, ein
Schatten im Schilf, Laub, taufeuchten Gras.

Aus dem Serbischen von Cornelia Marks und André Schinkel


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Halluzinationen

Ist es so, bin ich nur ein Hauch? Haftet an mir
Nur der Glanz, der sich in die Leere verteilt,
der mir den Weg, in den Abgrund, erhellt hat?
Die Gefährten nur Schatten, vorbeiziehend an mir,
über die ich den, mit Stille, Trauer und Zartheit
funkelnden, reinen Sternenstaub ausgekippt hab’?

Verlasse ich also die jungen, warmen Körper der Rehe
gehe fort, panisch, folgend dem Eis, zum Gipfel drängend?
Bringt mir die Masern des Korns nur zurück jenes Wehe,
an einem Faden, dünn und heiß, im Morgengraun hängend?

Ach, würde hier, in diesem Sein, der Wasserfall all dieser
Sinn-Wunder mich fluten, wie Milch, die duftend herabfällt.
Mir scheint, als ein einziger, glänzender Tropfen schießt er
Über den Sand und über den Boden, fern, über die Welt.

Ist es so, bin ich nur ein Hauch? Haftet an mir
Nur der Glanz, der sich in die Leere verteilt,
der mir den Weg, in den Abgrund, erhellt hat?
Die Gefährten nur Schatten, vorbeiziehend an mir,
über die ich den, mit Stille, Trauer und Zartheit
funkelnden, reinen Sternenstaub ausgekippt hab’?

In Dänemark, 1929

Aus dem Serbischen von Cornelia Marks und André Schinkel


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LAMENTO FÜR BELGRAD

JAN MAYEN und mein Srem,
Paris, die toten Freunde, Kirschen in China,
All das erscheint mir noch, der ich schweigend, wach, ein Sterbender bin,
So lieg, ich, erkaltet, in der Asche ein Scheit.
Aber das sind wir nicht mehr, das Leben, die Sterne sind’s nicht,
Nur Untiere, Polypen, Delfine,
Die über uns herfalln, reitend durch Gischt
Und heulen: „Staub! Asche! Tod!“
Und kreischen, auf Russisch: „nitschewo“ –
Und „nada“, als spanischen Schrei.

Du jedoch wirst größer mit dem Morgenlicht,
Dem blauen Avala, in der Ferne, als wär’s ein Gebirg’ –
Und zitterst, als ob das Verlöschen der Sterne dich bricht,
Und schmilzt, wie die Sonne das Eis der Tränen zerwirkt.
Es wohnt nicht in Dir: der Tod nicht, die Sinnleere nicht.
Du funkelst: ein wiedergefundenes Schwert.
Und alles steht in dir auf, tanzt, dreht, kehrt wieder in sich
Wie der Tag, den das Weinen der Kinder durchfährt.
Und wenn mir der Mund, die Augen, mein Atem versagen,
Wirst Du, ich weiß es, auf Deinem Flügel mich tragen.

SPANIEN und unser Hvar,
Der tote Dobrović, in der Sahara ein Scheich,
All das erscheint mir noch, wie Gespenster, wie Trugbild und Mahr.
Und mein Sibe, mit Fischmaul, vom Wahnsinn geritten.
Aber das sind wir nicht mehr, in Jugend und Kraft,
Nur Papageien, zu verweinten Schimpansen zerweicht.
Ich, vereinsamt, werde verschrieen, verlacht:
„Leš! Leš! Leš!“, brüllt der Eine mir zu.
„Cadavere!“, raunt der Andre im Nu.
Und: „Leiche! Leiche! Leiche!“, der Dritte.

Du jedoch breitest Vergessen wie die Flügel ein Schwan
Über Donau und Save, den schlafenden Strömen.
Du weckst die Freude, die herrschte, den Hügel hinan,
Gekicher ist hier, in meinem Schrei, im Schmerz und im Stöhnen!
Kein Wurm nagt in dir, nicht mal im Grabe,
Du flirrst, in den Tränen der Menschen ein lachender Hauch.
In Dir singt noch im Winter ein Pflüger – die Gabe,
Sein Blut, füllt wie Wein Deinen Schlauch.
Und wenn mein Kopf fällt und schweigen die Stunden,
Wirst Du mit Mutterküssen mir kühlen die Wunden.

DU, VERGANGENHEIT, meine Welt,
Jugend, Liebe, Gondeln, und Mljeci am Himmel –
All das erscheint mir noch, Traum, Woge, blühender Spelt
In dem, das mich holen kam, die Maskiererei;
Aber das bin ich nicht mehr, kein Venedig, das blaut,
Nur Trümmer sind da, Fratzen und Stelen, verschimmelt,
Was von uns bleibt, auf dieser Erde, im Kraut.
Sie rufen: „Da liegt ein Pascha! – Ein Bettler! – Ein Hund!“
Und tun, „Tout passé“, auf Französisch das kund
Und in unserer Sprache: „Vorbei!“

Du jedoch stehst überm Fluss, der breit rollt,
Überm Tal, das fruchtbar und hart, ein Schild, sich erhebt,
Und singst, heiter, wenn fern das Wetter auch grollt,
Und hast Deine Naht mit Blitzen in die Epochen gewebt.
Du kennst meine Trauer, die menschlich ist, nicht,
Du blickst, ein zielender Schütze, wortlos, geradlinig drein.
Wandelst Weinen in Schillern, was ein Regenbogen verspricht,
Spendest, eine Kiefer, mir Kühle: ich atme Dich ein.

Und wenn, dass mein altes Herz ruhe, die Stunde dann schlägt,
Wirst Regen, eine Akazie Du sein, meinem Leib umgelegt.

LISSABON und mein Weg
In die Welt, Schlösser aus Luft und Meerschaum gebaut,
All das erscheint mir noch, mein schwindendes Licht, der wacklige Steg,
Auf dem ich Erde führe, in die Träume, Träume, Träume hinein.
Aber das sind sie nicht mehr, nicht Frauen und Männer, voll Leben,
Nur ohnmächtige Schatten, traurig, der Kräfte beraubt;
Die sagen, sie seien kein Tier, keine Schuld sei zu geben –
Das Leben hätte überhaupt nichts gebracht,
Und raunen „Não, não, não“ ganz sacht
Und in unserer Sprache: „Nein, nein.“

Du jedoch atmest, in nächtlicher Stille,
Bis zu den Sternen, die weisen der Sonne im Träumen die Bahn.
Du hörst Dein Herz, die schlagende Fülle,
Als schlüg’s an die finsteren Wände des Kalemegdan.
Wie Emsen sind unsere Schmerzen für Dich;
Unsere Tränen wie Perlen, in den Staub hingesiebt.
Über den später die Morgenröte sich flicht,
Wo ich einst jung war und fröhlich und in sie verliebt.
Und wenn mein Herz müd’ sich hinlegt zur Nacht,
Bist Du, für den Schlaf, als mein Lager gemacht.

FINISTÈRE und ihre Gestalt –
Ehe und Küsse, Sturm, der wirbelt, sich legt,
All das erscheint mir noch, Falter und Mohn, aus Ähren ein Wald,
In den Ohren ihr Schritt, der federleicht ist.
Aber das ist sie nicht mehr, nicht ihr Lachen, das klingt,
Nur ein Kormoran, der wild mit dem Flügelschwarz schlägt
Und schreit, dass jedes Glücks Schein im Ozean sinkt.
Er murmelt und ruft „tombe“ und „sombre“,
Und krächzt sein „ombre, ombre!“
Und in unserer Sprache: „Grab“ und „Finsternis“.

Du jedoch, ewiger Schwan, brichst auf
Zu Deiner Reise, aus Tod und Blut fort, zum Sonnenlicht hin.
Wenn mein Tag auf den Grund sinkt, erhebst du vom Lauf
Des Morgens Dich her, von Strahlen umringt.
Verlassen steh’ ich, in der Sahara, allein,
Wo die Karawanen nichts als Täuschungen sind,

Doch wie die Mutter, die neben dem toten Tuareg weint,
Wirst Du als Trost bei mir sein, bis der Tod mich gewinnt.
Und wenn sie die Seele mir brechen, den Speer, Fuß, die Hand,
Weiß ich, gegen Dich, Dich ist ihnen kein Mittel bekannt.

DAS LEBEN der Menschen, ein Windspiel und Laub,
Das verwelkt; Möwe und Reh, der Mond auf offenem Meer,
All das erscheint mir nun, am Ende, als Traum,
In dem jeder Akteur, nach und nach, entbehrt seiner Pflicht.
Und das, und auch ich – es war nie so viel mehr
Als Schaum und Moment, ein Flüstern, in China gehört,
Wie auch das Herz, das kälter wird, stiller und schwer:
Nichts bleibt, kein Ming und kein yang und kein yin,
Kein Tao, nicht Kirschen und kein Mandarin.
Niemand und nichts.

Du jedoch leuchtest, mein dämmernder Traum,
In unseren Tränen, noch immer, in Dunkelheit, Dreck.
Wie Tau liegt dein Blut auf der Ebene Saum,
Wie einst den Todhauch zu kühlen sein Zweck.
So umfang ich noch einmal auf dem abschüssigen Stein
Dich und die Save, das träge danubische Fließ.
Und mein Traum gebiert Sonne. Strahle! Sprühe! Und schein!
Dein Name ein Blitz, der heiterem Himmel entsprießt.
Und wenn Dein altes Uhrwerk die Stunde mir schlägt,
Wird er es sein, der mein letztes Flüstern bewegt.

Cooden Beach, 1956

Aus dem Serbischen von Cornelia Marks und André Schinkel

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Prozession

Am Ende der Jugend ergreift mich, schwer,
        seltsam, die Liebe.

Zuerst erschien sie mir lüstern, wie Schmach,
         friedlich und weiß, wie eine Herde entfernt.
Dann traf ich sie bei den Kirschen,
         und, wie auf einer Flöte, so spielt’ ich
                   auf dem Blau eines Bachs.

Was mein Geist verfehlte, die Spur,
         gewann mein Körper
                    an Zerbrechlichkeit.
Mit der Hand bin ich zu kosen gewillt: des
         Horizonts milde und schimmernde Flur.

Meine Gedanken, die klaren,
          sind vergangen in Lächeln, ewigdunklem Delir.
Von allen Seiten versammeln sich langsam
        die Prozessionen der blühenden Kirschen,
        um zu gehen mit mir.

Ihnen voran, lächelnd,
          von Gipfel zu Gipfel,
von Fluss zu Fluss,
                   das bin ich –
        unbekümmert und sorglos,
                 springe ich,
        tanze ich.

Aus dem Serbischen von Cornelia Marks und André Schinkel


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SUMATRA

Nun sind wir zärtlich, leicht, von Sorge nicht erfüllt.
Und denken noch, wie still sie sind, wie schneeverhüllt,
Die Gipfel des Ural.

Wie Trübnis sich in unser Herz ergießt,
Weil uns das bleiche Antlitz eines Abends ging verloren,
Und wissend doch, dass, irgendwo, ein kleines Fließ
An seiner Stelle erröten wird.

Und jene Liebe, eines Morgens, in der Fremde,
Verstrickt uns immer mehr – die Seelenräume,
Der blauen Meere grenzenlose Stille,
Daraus Korallenschotter rötlich scheinen,
Sind heimatlich, wie Kirschenbäume.

Erwachend nachts und lächelnd voller Liebe
Zum Mond hinauf, der seinen Bogen fest gespannt:
Und wir, liebkosend jene fernen Berge
Und Eisesgipfel, zärtlich, mit der Hand.

Aus dem Serbischen von Cornelia Marks und André Schinkel


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Miloš Crnjanski, Dichter, Romanschriftsteller und Essayist, wurde 1893 als Sohn eines serbischen Beamten in der ungarischen Kleinstadt Csongrád geboren. Er studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien, Belgrad und Paris, bis es bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, 1914, zur Rekrutierung kam, und der Infanterist des 29. k. u. k. Regiments wenig später an der galizischen Front stand. Als einziger Überlebender seiner Kompanie kehrte er, schwer verletzt, nach Belgrad zurück.

Innerhalb der Avantgarde, die in Südosteuropa ungefähr von 1910 bis 1941 dauerte, nahm er als Dichter einen bedeutenden und exotischen Platz ein, insbesondere mit seiner speziellen Richtung, dem „Sumatraismus“, einer besonderen Ausprägung des Expressionismus, sofern eine Einordnung dieser Richtung überhaupt möglich ist.

Ab 1928 war er Kultur- und Presseattaché des damaligen Königreichs Jugoslawien in Berlin, Rom und Lissabon. 1941 emigrierte er nach London, wo er bis 1965 blieb. In jenem Jahr kehrte er nach Belgrad zurück, wo er 1977 verstarb.

Bis heute wird er im gesamten geographischen Raum des ehemaligen Jugoslawiens als einer der größten Dichter anerkannt.


In deutscher Sprache liegen bisher folgende Bücher von Miloš Crnjanski vor:

• „Panduren“ (Seobe), aus dem Serbischen von Ina Jun-Broda, 1963
• „Bora“ (Seobe), aus dem Serbischen von Reinhold Fischer und Barbara Antkowiak, Frankfurt am Main; Berlin: Limes (Heyne) 1988
• „Tagebuch über Čarnojević“, aus dem Serbischen von Hans Volk, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993
• „Kommentare zu Ithaka“, aus dem Serbischen von Peter Urban, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967
• „Ithaka“ (Lirika Itake), aus dem Serbischen von Viktor Kalinke, nach Vorlagen von Stevan Tontić und Cornelia Marks, Leipzig: Leipziger Literaturverlag Erata 2008

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